Situation des Einzelhandels

Monika Dürrer aus Eschweiler-Süd, eine ehemalige Schülerin der Liebfrauenschule Eschweiler (Abitur 1988) ist Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Hannover und beschreibt in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" vom 19.11.2020, wie der Einzelhandel im Lockdown leere Fußgängerzonen beklagte, obwohl die Geschäfte noch nicht schließen mussten:

 

„In den Fußgängerzonen registrieren wir einen durchschnittlichen Rückgang der Passantenzahlen um etwa 43 Prozent." Dies betreffe die Landeshauptstadt gleichermaßen wie Mittelzentren wie Hameln oder Celle. Dabei sollte seit Mitte November im Handel das Weihnachtsgeschäft laufen, das für viele Händler bis zu 30 Prozent des Jahresumsatzes ausmacht. Hohe Infektionszahlen und der Aufruf an die Bevölkerung, Alltagskontakte zu reduzieren, seien Auslöser des Kundenrückgangs, so Dürrer.“ Nach Einschätzung der Industrie- und Handelskammer (IHK) muss allerdings ausbleibende Laufkundschaft nicht zwangsläufig in gleichem Umfang Umsatzeinbußen bedeuten. Viele Geschäfte bedienten auch den Onlinehandel, lieferten in der Corona-Krise Waren direkt zum Kunden oder hielten Bestellungen zur Abholung bereit.

 

Der stationäre Einzelhandel verfügte 2019 über rund 125 Millionen m² Verkaufsfläche. Somit standen jedem Einwohner Deutschlands im Durchschnitt etwa 1,5 m² Verkaufsfläche zur Verfügung. Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland damit einen Spitzenrang ein. Allerdings geht dies zu Lasten der Flächenproduktivität.

 

Der sächsische Einzelhandelsumsatz lag bei ca. 21,6 Milliarden Euro im Jahr 2019. Damit rangiert der Freistaat an der Spitze der neuen Bundesländer. Dazu trugen rund 113.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte bei. Der stationäre Einzelhandel verfügt in Sachsen über 6,85 Millionen m² Verkaufsfläche. Man sieht an diesem Beispiel, was durch Corona gefährdet ist:

  • Einbruch bei den Zahl der Arbeitsstellen für ausgebildete und angelernte Kräfte mit der Folge wachsender Arbeitslosigkeit. Mit dem Instrument der erweiterten Kurzarbeit konnte Deutschland bislang das Schlimmste auffangen.
  • Einschnitt in der Zahl der Sozialversicherten im Arbeitsprozess, wodurch die Einzahlungen in die Rentenkasse Einbrüche erleiden könnten.
  • Insolvenzen führen zu hohen Steuerverlusten sowie zu Belastungen für Kreditinstitute bzw. umgekehrt zu einer noch höheren Abhängigkeit der Einzelhandelswirtschaft von Geldinstituten und Banken.
  • Vor allem Frauen sind betroffen von erhöhter Zahl von Insolvenzen. Zusammengenommen mit einem möglichen Einbruch im Friseurhandwerk könnte dies für die Berufstätigkeit von Frauen eine große negative Auswirkung haben.
  • Verlust von Ausbildungskapazitäten und Möglichkeiten für Start-Ups
  • Anstieg der Anzahl von Familien in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen

Bis 2008 war Monika Dürrer Geschäftsführerin des HDE (Handelsverband Deutschland) in Berlin und als Lobbyistin auch schon einmal an der Seite der Kanzlerin Angela Merkel. Der HDE sieht die aktuelle Situation in einer Expertise „Perspektive und Zuversicht – Expertise des Mittelstandes in die Öffnungsstrategie einbinden“ vom 05. Februar 2021 folgendermaßen:

 

„Die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand, in der auch der Handelsverband Deutschland (HDE) Mitglied ist, fordert Bund und Länder auf, den Mittelstand eng in die Erarbeitung einer Öffnungsstrategie einzubinden. Nur aus der unternehmerischen Praxis heraus können die erforderlichen Impulse formuliert werden, die ein Wiederhochfahren der Wirtschaft gelingen lassen. Dabei hat der Gesundheitsschutz oberste Priorität.

 

Die Corona-Krise hinterlässt tiefe Spuren in unserer mittelständisch geprägten Wirtschaft. Sie geht an die Substanz: Viele Unternehmer haben sich von Monat zu Monat durchgekämpft, stehen wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand und zehren angesichts massiver Ertragseinbußen von ihren Reserven. Gerade sie warten dringend auf eine klare und an nachvollziehbaren Kriterien ausgerichtete Öffnungsperspektive.

 

Die Öffnungsstrategie darf nicht hinter verschlossenen Türen erarbeitet werden. Sie muss die Expertise der mittelständischen Betriebe und ihrer Verbände entscheidend berücksichtigen und sowohl die Erfahrung mit der Pandemie wie die gesellschaftlichen Debatten einbeziehen. Denn gerade die derzeit geschlossenen Unternehmen wissen, welche konkreten Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens vor Ort geeignet und realistisch umsetzbar sind. Es müssen alle Bereiche des Mittelstandes einbezogen werden.

 

Die Risiken eines fehlgeschlagenen Hochfahrens sind beachtlich: Kleine und mittlere Unternehmen sind die zentrale Stütze der deutschen Volkswirtschaft. Und mehr noch: Sie haben eine wichtige Stabilisierungsfunktion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, auch und gerade in ländlichen Regionen. Hier geht es um eine besondere Struktur und Kultur.

 

Das situative politische Handeln muss durch eine mittel- bis langfristig tragfähige Strategie ersetzt werden, die sich an realistischen und fundierten Indikatoren orientiert. Verlässlichkeit und Praxistauglichkeit sind dabei entscheidend. Dazu gehört auch ein stärker evidenzbasierter Ansatz.

 

Insgesamt braucht der Mittelstand neben einer Perspektive zur Öffnung dringend politische Signale der Zuversicht, damit möglichst viele Unternehmen durch die Krise kommen und durchhalten. Ein Wiederhochfahren ist nicht per Knopfdruck möglich, sondern muss sorgfältig vorbereitet werden.

 

Über die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand: Der Mittelstand in Deutschland repräsentiert die rund 3,5 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen aus Handel, Handwerk, dem Dienstleistungssektor, Gastronomie und Hotellerie, den Freien Berufen und der Industrie sowie, als wichtigste Finanzierungspartner der kleinen und mittleren Unternehmen, die Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Diese Unternehmen beschäftigen sechs von zehn sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitern (mehr als 17 Millionen), bilden vier von fünf der insgesamt mehr als 1,2 Millionen Auszubildenden aus und zählen zu den Innovationstreibern in Europa.“

 

Mehr unter www.arbeitsgemeinschaft-mittelstand.de